Ich bin eingeladen. Die Party startet ab sieben Uhr und ich setze mich da hin, wo Platz ist. Es gibt irgendwelche Schaumstoffkissen-Sitzgelegenheiten. Oder auf die Treppe? Lieber auf den Sessel? Andere stehen an der Bar herum. Geht es schon los. Ja. Es gibt eine Band. Gitarre, Bass, Schlagzeug. Ich habe viel zu schauen. Entdecke, dass es andere Räume gibt und Projektionen. Ich befinde mich in einem begehbaren Theaterstück!
Polaroids: Orte, Perspektiv-Wechsel, Kaleidoskop
Diese wirre Einleitung kommt nicht von irgendwoher. Der Besuch von Polaroids gleicht einem außergewöhnlichen Partybesuch mit viel Kunst. Vielleicht ist das Wort Party auch noch zu schwach. Nach dem Einlass bin ich im Stück. Solle ich eher begehbares Theaterstück sagen?
Aber eigentlich ist es Tanztheater, aber eigentlich ist es Performance, aber eigentlich ist viel Musik, aber eigentlich kann ich von verschiedenen Orten aus meine Perspektive wählen und den Hintergrund in der Projektion sehen. Sitzen oder stehen. Herumlaufen. Teilweise sehr nah am Geschehen, das unvorhersehbar ist und Staunen lässt.
Polaroids vereint viele Disziplinen. Action Painting ist hier mit viel Action gepaart. Dabei entstehen auch bei jeder Aufführung Dinge für den Moment, einzigartig wie das Sofortbild. Trotzdem ist es unmöglich das ganze Geschehen im Blick zu haben. Da lohnt sich ein zweiter Besuch. Auf der Premiere war die Stimmung zwischendurch in eine richtige Partystimmung verwandelt. Natürlich wird viel getanzt und die Nähe zum Alltag wird deutlicher denn je, gerade durch die Warhol-Atelier-Schnipsel, an die manche Szenen erinnern, wird alles viel greifbarer. Wir sind in der Kunst, ohne uns geht es nicht. Unsere Reaktion befeuert das Tun.
Ich möchte nicht zu viel verraten. Aber keine Angst, es wird keiner im Publikum „mitmachen“ müssen im herkömmlichen Sinne. Aber der Ortswechsel zum Perpektivenwechsel, die Schaulust meine ich.
Für mich steht fest: Polaroids rückt nach ziemlich weit oben auf meiner Lieblingsliste der Tanztheaterstücke!
Furiose Szenen und so viel geballte Performance.
Leute, die noch nie im Tanztheater waren, werden sich danach in die Sparte verlieben. Da bin ich ganz sicher.
Gut zu wissen
Eine Stunde vor Vorstellungsbeginn startet der szenische Einlass. Ihr könnt also schon viel früher ins Geschehen. Das lohnt sich, denn dort drinnen taucht man schon langsam ins Stück ein. Es passiert auch schon etwas. Die im Noon gekauften Getränke können theoretisch auch mitgenommen werden. Allerdings werden sie umgefüllt in Plastikbecher. Im Theatersaal gibt es auch eine Bar. Es herrscht freie Platzwahl. Platzwechsel sind möglich. Auch neben der Bar rumstehen ist möglich. Der Rest ergibt sich. Am Ende wird die Neugierde siegen, und sicherlich dafür sorgen, dass man eher mehr herumläuft oder steht als sitzenbleibt.
Hintergrund
Polaroids ist das elfte Stück, dass Tanzchef Samir Akika und seine Compagnie Unusual Symptoms für im Theater Bremen inszeniert. Die Dramaturgin Anna K. Becker wurde für die Produktion extra nach Bremen geholt. Grundidee laut Infotext ist, das künstlerische New York der 70er und 80er Jahre mit seien vielen Performances einzufangen und neue Wege im Tanztheater zu gehen. Wasser, Farbe, Wind, wechselnde Kulissen machen das Stück zu einer sehr aufwändigen Produktion.
Besetzung
mit Valeria Cordes aka Lerok
Marie-Laure Fiaux, Gabrio Gabrielli, Pilgyun Jeong, Nora Ronge, Lotte Rudhart, Karl Rummel, Antonio Stella, Szu-Wei Wu
Ausstattung Stefan Schönfeldt, Elena Ortega
Musik Simon Camatta, jayrope, Stefan Kirchhoff
Choreographie von Samir Akika
Licht Christopher Moos
Dramaturgie Anna K. Becker
Theater Bremen POLAROIDS from Karline Rumpelkasten on Vimeo.
Termine
Polaroids von Samir Akika mit Unusual Symptoms im Theater Bremen, Kleines Haus.
Samstag, 15. April 2017, 20:00 Uhr
Dienstag, 23. Mai 2017, 20:00 Uhr
Donnerstag, 22. Juni 2017, 20:00 Uhr
Freitag, 30. Juni 2017, 20:00 – 21:30 Uhr / Zum letzten Mal in dieser Spielzeit
Dienstag, 05. September 2017, 20:00 – 21:30 Uhr / Wiederaufnahme
Sonntag, 24. September 2017, 20:00 – 21:30 Uhr
Donnerstag, 28. September 2017, 20:00 – 21:30 Uhr
Donnerstag, 12. Oktober 2017, 20:00 Uhr
Sonntag, 26. November 2017, 18:30 – 20:00 Uhr
Mittwoch, 20. Dezember 2017, 20:00 Uhr
Samstag, 30. Dezember 2017, 20:00 Uhr
Samstag, 23. Juni 2018, 21:00 Uhr
9 Kommentare
Danke für den schönen Artikel! jrp
Ich danke dir. Ich bin wirklich begeistert. Der Band-Punk-Ausflug war auch ziemlich toll.
[…] und hoffe selbst, dass ich es noch einmal sehen kann. Auf dem Blog habe ich schon darüber berichtet. Alternativ findet die zweite Vorstellung von Amerika statt. Dazu kann ich noch nichts sagen, denn […]
[…] aktuelle Stück „Black Rainbow“ folgt auf das sehr perfomative Stück Polaroids und will bewusst nicht in seine Fußstapfen treten. Black Rainbow bearbeitet die Dystopie. Die […]
[…] unglaublich tolle Tanztheaterstück Polaroids wird heute um 18Uhr30 […]
[…] viel los. Freitag: 29.12.2017: Ins Calavera zu Geschüttelt, nicht gerührt. Samstag: 30.12.2017: Polaroids im Theater Bremen schauen. Sonntag: 31.12.2017: Irgendwo Silvester feiern. Die Entscheidung kan ich […]
[…] wenn Ihr etwas über die Vorgängerstücke Polaroids und Black Rainbow lesen möchtet, die habe ich auch in Blogbeiträgen […]
[…] eine Tanztheaterachterbahn haben mich Polaroids und Crash fahren lassen. Die Ratten versetzten mich in die existenzielle Schreckstarre. […]
[…] Dieses Tanztheaterstück hat vieles durchwirbelt. Wasser, Erde, Farbe, Wind, Punk. Einfach das ganze Leben kommt darin vor und wir Zuschauer*innen haben es vermisst. Polaroids stand eine zeitlang nicht mehr auf dem Spielplan. Ich kann hier nur spekulieren. Aber sicherlich musste es vielen neuen Produktionen Platz machen. Nicht zuletzt hat sich die Besetzung der Tanzcompagnie Unusual Symptoms aus den verschiedenen Gründen in großen Teilen verändert. Seit Dezember 2018 gibt es nun Polaroids Remix. Der Remix lässt das Stück weiterleben und das ist gut so. Immernoch befinden sich wir Zuschauer*innen in einer sehr intensiven Atelier-Party-Atmosphäre und dürfen mitten im Geschehen teilhaben. Immernoch sind wir auf, neben oder unter der Bühne. Manche Episoden wurden anders besetzt. Anfangs gibt es viel mehr Malerei als im Urprungs-stück. Die Musik bleibt kraftvoll jedoch weniger instrumental. Es gibt noch genug zu entdecken, ich denke, ich werde noch einmal hingehen. Das klingt jetzt alles kryptisch? Dann lest einfach meinen Beitrag zu Polaroids. […]