Für einen Tag bin ich Teil einer kleinen, kunstinteressierten, internationalen Instagrammer*innen-Gruppe. Wir sind in den Deichtorhallen verabredet. Genauer gesagt, im Haus der Photographie. Das Photoprojekt #thisaintartschool hat zusammen mit dem Museum eingeladen. Ich bin froh, denn ich habe schon so einige Fotoausstellungen in den Hamburger Deichtorhallen besucht. Seit zwei Jahren war ich aber nicht mehr dort. Diese Tradition nehme ich gern wieder auf. Gleichzeitig hatte ich von der aktuellen Ausstellung im Kunstverein gehört und wollte die als Fotografie-Interessierte auch gern noch besuchen. Von Bremen sind die Deichtorhallen sehr gut erreichbar, ohne wirklich dramatische Logistik. Es sei denn, ein Sturm kündigt sich an….
Alec Soth „Gathered Leaves
Wir sind wegen Alec hier. Oder besser gesagt, wegen seiner Bilder. Alec Soth gilt als einer der einflussreichsten Fotografen der Gegenwart. Der Kurator Ingo Taubhorn gibt uns eine Einführung in die Ausstellung, die tatsächlich aus dem Londoner Science Museum kommt und dort von Kate Bush kuratiert wurde. Ich habe noch nie wirklich mit einem Kurator gesprochen, auch wenn er diese Funktion im Falle der Gathered Leaves“ Ausstellung gar nicht so hatte. Interessant ist für mich zu hören, wie alles Stück für Stück organisiert wird und eben auch, wie dieses Wissen um die Entstehungsprozesse der Exponate die eigentliche Ausstellung formt. Ingo Tauborn arbeitet auch mit Skizzenbüchern, in denen er Material sammelt und den Entstehungsprozess der Ausstellung dokumentiert. Die Simulation der einzelnen Werke. Mal kommt ein Bild hinzu, mal muss eines wegfallen. Wir dürfen tatsächlich auch in die Skizzenbücher schauen. Das lässt mein Sketchbook-Herz höher schlagen. Das Gespräch führt auch dazu, dass wir sozusagen Backstage im Haus der Photographie eine zeitlang auf die Bilder schauen und das Museumspublikum beim Artwatchen beobachten. Was für ein besonderer Arbeitsplatz, wenn er diesen Blick täglich gewährt.
Meet Deichtorhallen | Eindrücke aus den Ausstellungen von Peter Bialobrzeski, Alec Soth und Alice Neel
Ich soll über die Eindrücke schreiben und ganz klar all konzeptionellen Ansätze von Soth wiedergeben. Vielleicht auflisten und erklären? Am nicht vorhandenen Bildungsauftrag vorbei rede ich lieber vom Verstecken und er Einsamkeit. Er besuchte viele Einsiedler und Menschen in extremen Wohnsituationen und schafft es, dass sie ihm vertrauen. Hierzu auch sehr sehenswert ist der Film Somewhere to disappear, der auch in der Ausstellung gezeigt wird. Es ist nich so sehr das skandalsüchtige Ablichten von Freaks. Er geht sensibel vor und vielleicht auf seine Art auch schüchtern. Die Menschen spüren seinen Sinn für di eFeinheiten der Traurigkeit und die Kleinigkeiten des Glücks. Laut Kurator Ingo Tauborn haben wir es mit einem Vertreter des Dokumentarismus zu tun. Poetische Dokumentasion oder künstlerisches Dokument? Viele von uns bleiben vor dem nackten Paar stehen, dass Liebe, Antischönheitsideal, bittersüßen Schmerz verkörpert. Es ist Schönheit und Tragik zugleich. Wir wollen hinsehen. Sehen die Verletzbarkeit und wollen so viel über die Situation wissen, in der dieses Bild entstand. Was bringt uns dazu, uns vor einem Fremden auszuziehen und ablichten zu lassen. Als Paar? Ohne konventionelle Einhaltung von Schönheitsidealen? Ist die Beziehung nachher anders? Tatsächlich kann auch ich nicht ohne ein ganzes Gedankenkarussell an diesem Bild vorbeigehen und besuche es am Folgetag erneut in der Ausstellung. Ironischerweise habe ich es beim allerersten kurzen Eintreten in die Räume gar nicht bemerkt. Alle anderen schon. Die Blickwinkel und Filter sind sehr verschieden bei jedem von uns.
Alec Soth arbeitet gern konzeptionell und in Serien. In „Sleeping by the missisippi“ besucht er seine alte Heimat in mehreren Reisen um dort Menschen in ihren Wohnsituationen zu dokumentieren/besuchen.
Peter Bialobrzeski
Die Ausstellungsräume sind offen und gehen ineinander über. Durch eine Art Sichtschneise fällt mir sofort ein Bild auf. Ein Hochhaus. Traurig und stolz zu gleich. Es zieht mich an ohne sofortiges Erkennen zu provozieren. Vorbei an einem monumentalen Schneebild, dass mich an das berühmte DDR Gemälde von Harald Hakenbeck Peter im Tierpark erinnert, besuche ich das Hochhaus. Der Blaue Bock! Ich in in der Welt von Peter Bialobrzeski und seiner Ausstellung „Zweite Heimat“ und stehe vor einer Photographie, die ein Magdeburger Hochhaus zeigt, dass es jetzt nicht mehr gibt. Viele Besucher*innen bleiben immer wieder länger vor dem Bild stehen. Sehen dann..aha Magdeburg. Und dabei ist das kein typisches Magdeburg-Bild, wenn es denn so etwas gibt. Ich weiß das, denn es ist meine Geburtsstadt. Ich bin einfach nur begeistert und bitte die liebe @becherschuh, mich als Artwatcherin vor dem Motiv zu photographieren. Die Zusammenstellung der Zweiten Heimat berührt mich sehr. Da steht Oldenburg neben Stendal und strahlt die gleiche German Gemütlichkeit aus. Gewerbegebietsromantik mit Imbissbudentristesse. Denkt man auf den ersten Blick. Es ist aber einfach das Alltägliche. Wie sah unsere Küche vor zehn Jahren aus? Habt ihr schon einmal beobachtet, wie jemand an einem Samstagvormittag die Auffahrt mit dem Staubsauger reinigt? Ich schon: in Weyhe. Die Fotographien von Peter Bialobrzeski werden als eher nüchterner Dokumentarismus klassifiziert. Ich empfinde da keine Nüchternheit. Es ist nicht das Sensationelle, aber es ist trotzdem recht häufig ein berührender Moment. Eine Zeitmaschine der alltäglichen Situationen. Ich musste das Buch kaufen!
Noch mehr Kunst:Alice Neel und Wolfgang Tilmans
Unser Instameet konzentriert sich auf Alec Soth und doch durften wir alle Ausstellungen in den Deichtorhallen besuchen, am Samstag und am Sonntag. Gleichzeitig hat der Hamburger Kunstverein die Türen für uns geöffnet. In die Welt der Malerei abtauchen, bedeutete gleich wieder ein ganz anderes Erlebnis. In den Deichtorhallen ist bis zum 18. Januar 2018 eine Alice Neel Ausstellung zu sehen. Ein Bild ihrer Tochter hat mich sehr berührt und besonders waren die schnellen Zeichnungen von Pärchenalltag und Sex.
Die Jubiläumsausstellung im Hamburger Kunstverein von Wolfgang Tilmans möchte ich noch nennen. Leider ist diese schon Vergangenheit, wenn dieser Beitrag veröffentlicht wird. Eine Eigenkomposition des Schaffens. Könnte man sagen. Verschiedene Werkphasen fügen sich zusammen.
Ausflugstipp Deichtorhallen und Haus der Photographie
Noch bis zum Januar bleibt Euch Zeit, eigene Artwatching Erfahrungen vor den Werken von Alec Soth, Peter Bialobrzeski und Alice Neel zu machen. Ich kann es nur dringend empfehlen.
Öffnungszeiten:
HALLE FÜR AKTUELLE KUNST &HAUS DER PHOTOGRAPHIE
Dienstag bis Sonntag: 11 ? 18 Uhr
Jeden 1. Donnerstag im Monat: 11 ? 21 Uhr (außer an Feiertagen)
ALEC SOTH
GATHERED LEAVES
8. SEPTEMBER 2017 ? 7. JANUAR 2018
HAUS DER PHOTOGRAPHIE
PETER BIALOBRZESKI
DIE ZWEITE HEIMAT
8. SEPTEMBER 2017 ? 7. JANUAR 2018
HAUS DER PHOTOGRAPHIE
ALICE NEEL
PAINTER OF MODERN LIFE
13. OKTOBER 2017 ? 14. JANUAR 2018
HALLE FÜR AKTUELLE KUNST
Ich danke Thisaintartschool und den Deichtorhallen, dass ich am Instameet teilnehmen durfte. Neue Bekanntschaften und spannende Einblicke in den Museumsalltag haben sich zu einem schönen Tag in Hamburg verwoben.
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